Frank Miller ist die Abbruchbirne der Comicswelt. Er hat als erstes in den frühen achtziger Jahren den Mythos von Daredevil zerstört und den blinden Anwalt in die Gosse geschubst, wo er mit ihm die Kanalisation und die übrige Unterwelt von New Yorks Hell’s Kitchen aufmoppte. Danach war Batman an der Reihe.
Der milliardenschwere Playboy-Waise wurde auch fachgerecht zerlegt. Dort ein Psychose, da ein Trauma, bis kein Stein auf dem anderen mehr blieb und ein Innenleben bar gelegt wurde, das dem Batcave unter Wayne Manor glich. Diese Demontagen hatten nebst ihrer Unbarmherzigkeit etwas weiteres gemein: Erfolg. Daredevil avancierte aus der zweiten in die erste Garde, Batman konnte plötzlich – aber dann nur noch ausschliesslich – ein erwachsenes Publikum für seine verquere Sicht der Welt gewinnen.
Zeigte Millers erste eigene Mini-Serie «Ronin» starke Einflüsse aus der japanischen Manga-Welt, so huldigte er in «Sin City» und «Hard Boiled» – zusammen mit Ausnahmezeichner Geof Darrow – den «film noir»- und ähnlichen Dektektivgeschichten, die von hartgesottenen Schnüfflern, brutalen Schergen, korrupten Polizisten und Femmes fatales bevölkert waren. Was als Hommage an vergangene Zeiten daher kam und scheinbar von einem ironischen Unterton getragen wurde, entpuppte sich immer mehr als die retro-orientierte Geisteshaltung des Autors und Zeichners. Sie wurde offensichtlich im martialischen Massaker «300», in dem er den Spartanern einen Comic-Schrein zimmerte.
Das nach wie vor eindrücklichste Werk Millers aber bleibt die Sin-City-Serie, die in ihrer Kompromisslosigkeit einmalig ist. Keine bunten Comic-Bilder, hautengen Kostüme mit flatternden Umhängen und Superhelden vegetieren in Millers Interpretation von Los Angeles. Auch keine rechtschaffenen Bürger haben hier etwas verloren – alles nur Verbrecher, Mörder, Stripperinnen und Huren. Gekleidet in Trenchcoats, weisse Hemden und wehenden Krawatten oder für die Damen: Strapse, Lack und Leder, wenn überhaupt etwas. Der Abschaum der Gesellschaft, gesammelt und verkrustet in Basin City. Eine Welt in Schwarz und Weiss. Eine Welt als Holzschnitt. Gefangen im Yin und Yang von böse und sehr böse. Der visuelle Stil entspricht den einfach gestrickten Krimigeschichten über Sex, Mord und Totschlag, in denen in der Regel ein Depp einer Femme fatale verfällt, sich noch zum grösseren Deppen macht und vom Tod erlöst wird – auch wenn’s ein grauslicher ist. Dialoge gibt es nur einsilbige. Die eingeboxten Gedanken kernig. Grossartig. Eine schmackhafte Reduction. Ein Meisterwerk.
Sin City und die nachfolgenden Bände zementierten Frank Millers Ruf als brachialen Autor und fantastischen Zeichner, als Renovator des Comic-Genres und das ist er zweifelsohne auch. Doch er fühlte sich zu mehr berufen. Die nach seinem Gutdünken aufgespalteten Seiten, der Bilderreigen, der zum verweilen lädt und dessen Stilisierung der Fantasie Raum lässt, solllten nicht genügen. Der Mann, der die «Occupy Wallstreet»-Bewegung auf seinem Blog als «eine Bande von Rüppeln, Dieben und Vergwaltigern» beschimpfte, fühlte sich zu «Höherem», nach Hollywood, berufen.
1990 versuchte sich Miller als Drehbuchautor beim zweiten Teil des umstrittenen Polizeistaat-Epos’ «Robocop» von Paul Verhoeven. Irivn Kershners Interpretation des kontroversen Stoffes produzierte einen Rohrkrepierer an der Kinokasse. Kaum besser verlief es mit «Robocop 3» (1993), aber Frank Miller gab nicht auf. Er wollte die Bilder selber auf die Leinwand zaubern. Nachdem Kult-Regisseur Roberto Rodriguez («From Dusk till Dawn», «Spy Kids») in Eigeninitiative eine «Sin City»-Episode gedreht hatte und deren Erfinder zeigte, erteilte dieser seinen Segen. Als Dank durfte er Co-Regie mit Rodriguez in der Kino-Adaptation von «Sin City» (2005) führen. Dabei kam eine praktisch 1:1-Umsetzung der Comic-Vorlage heraus, was an sich nichts Schlechtes ist, aber auch nicht viel neues brachte. Während das Original durch seine «reduce to the max»-Mentalität auffiel, wirkte das Kinowerk geschleckt und gekünstelt. Also genau das Gegenteil dessen was die Comics so ausserordentlich macht.
Um dies gleich klar zu stellen: Das ist keine «Das Original (Buch, Comic, …) ist besser als die Verfilmung»-Geschichte, hat doch jedes Medium seine Stärken und Eigenheiten. Werden diese stimming eingesetzt und entsteht ein unabhängiges Werk, das auf Grund seiner eigenen Qualitäten besteht, erübrigt sich diese alte Laier ohnehin. Nein, hier geht es vielmehr darum: Was bringt die Miller’sche Adaptation seines Meisterwerks dem Kinogänger und da bleibt nicht sehr viel ausser einem Star-Aufgebot, das hinter Latex-Make-up, computer generiertem Niederschlag und überbelichteten Szenen verschwindet.
Konnte «Sin City» vor neun Jahren noch einen Originalitätsbonus verbuchen, entfällt dieser bei «Sin City: A Dame to Kill for». Was bleibt ist schöne Langeweile und ein blasser Haufen Stars, die – wenn es Frauen sind – viel Haut oder im Falle von Eva Green gar baren Busen zeigen, bei den kernigen Kerlen wird mit den Zähne gebleckt und eine Knattercharge nach der anderen hingelegt. Das mag witzig sein für ein paar Minuten wie der unten eingeklinkte Trailer zeigt, doch auch die Mimik von Eva Greens Brüsten ist eingeschränkt, obschon diese nicht unter Lagen von Latex verborgen sind. So bleibt wenig übrig, woran man sich über Dauer daran erfreuen kann. Rosario Dawson in Netzstrümpfen und Bustier? – Toll, wunderbar, aber auch nichts neues. Bruce Willis als Geist? – Lebending gefällt er besser. Jessica Alba mit Knarre? – Super, aber eben … Joseph Gordon-Levitt? – Immer eine Freude und auch so etwas wie der Lichtblick in den düsteren Gassen von Sin City. Leider findet er ein jähes Ende. Josh Brolin? – Auch er oft für eine Überraschung gut. Seine Performance auf eine emotionale Ebene geschrumpft. Er gibt den Deppen, der zum noch grösseren Deppen gemacht wird, weil Eva Greens Busen das so will. Mickey Rourke? Seit seiner Boxer-Karriere und diversen plastischen Chirurgie umspielt ihn etwas gespenstisches. Davon ist leider vor lauter Latex nichts spürbar. Seine Figur Mad Marvin ein Meisterstreich, aber eben: Lieber im Comic als auf der Leinwand.
Darum sei an dieser Stelle die Bitte erlaubt: Gebt Frank Miller Bleistift, Tusche und Papier. So viel er will und noch mehr, aber haltet ihn bitte von Hollywood fern.
«Sin City 2: A Dame to Kill for» jetzt im Kino.