Die Frontansicht der Spatial-Computing-Brille Vision Pro von Apple.

Apples Blick in die Zukunft

Anfang Juni hat Apple verschiedene Neuheiten vorgestellt. Das Hauptinteresse aber galt der Augmented-Reality-Brille Vision Pro, die das Potenzial hat, eine neue Computer-Ära anzukündigen und Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen einen neuen Zugang zu digitalen Welt zu bieten.

Anfang Woche hat Apple Neuheiten vorgestellt. Dazu gehörte der Hochleistungs-Computer Mac Pro, der im professionellen Bereich für Filmschnitt und Animationen eingesetzt werden kann, aber auch superschlanke Laptops, wie das 15-Zoll-Air. Es ist nicht nur der schnellste Computer seiner Kategorie, sondern mit 11,5 mm der dünnste und wiegt blosse 1,5 kg. Darüber hinaus wurden noch verschiedene Software-Neuerungen und -Verbesserungen präsentiert, doch all das verblasste neben dem Schlussbouquet der Entwickler-Konferenz: Der Augmented-Reality-Brille oder wie sie Apple nennt Spatial-Computing-Brille Vision Pro.

Seit 2015 heisst es, dass Apple an dieser Technologie arbeitet, aber nie bekam man etwas von dieser Brille zu sehen. In der Zwischenzeit legten diverse Konkurrenten wie Meta, Microsoft und HTC neue Virtual- und Augmented-Reality-Brillen vor, doch das Interesse an diesen hält sich im überschaubaren Rahmen. Daran ändern grossspurige Ansagen von Meta-Chef Mark Zuckerberg nichts, der wenige Monate danach 11’000 Mitarbeitende entlassen hat, was über einem Achtel der Firmenbelegschaft entspricht.

Kurz zu den Begriffen: Während man bei Virtual Reality (VR) seiner Umwelt gegenüber faktisch taub und blind ist, wird bei der Augmented Reality (AR) die Umgebung mit computergenerierten Informationen überlagert und ergänzt. Das kann alles sein von diskreten Einblendungen wie dem Namen eines Berggipfels oder einem kleinen Monster wie im Computerspiel «Pokémon Go» bis hin zu einer Vielzahl von Bildschirmen, die sich bearbeiten lassen oder einer das Blickfeld füllenden «Leinwand» für ein Kinoerlebnis der Sonderklasse.

Arbeiten in einer neuen Dimension

Besonders die Arbeitsanwendungen von Vision Pro offenbarte ein Potenzial, das weit über die gängige Unterhaltungsdimension hinausreicht, die VR-Brillen im Vordergrund steht. Denn im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten benötigt Apples AR-Technologie keine Controller, die in den Händen gehalten und mit ihnen bedient werden. Gesteuert wird die Vision Pro durch eine präzise Augenverfolgung. Wer beispielsweise ein App öffnen möchte, lässt den Blick auf dieser verharren. Zur Bestätigung werden Daumen und Zeigfinger kurz zu einem Kreis geschlossen und schon öffnet sich das Programm. Natürlich können Befehle auch gesprochen werden.

Diese Technologie verfügt über ein grosses Potenzial, wenn es um die Inklusion von körperlich schwerstbehinderten Personen geht. Sie können sich einen virtuellen Arbeitsplatz einrichten, dessen Bedienung ohne weitere Instrumente auskommt. Selbstverständlich können Tastaturen mit der revolutionären Technologie verbunden werden, was die Erstellung von schriftlichen Dokumenten erleichtert.

Brauche ich eine Vision Pro?

Die Verantwortlichen des kalifornischen Technologie-Konzerns sprechen von einem Moment der vergleichbar sei mit der Einführung des iPhones. Wie damals hat man den Eindruck, dass die Innovation an einem kleinen Ort ist, da viele der Elemente, die Apples Smartphone auszeichnen, bereits in anderen Geräten existierten. Doch der verstorbene Chef Steve Jobs und sein Team verstanden es, diese so zu verbinden, dass das Benutzererlebnis unvergleichlich war und nach wie vor ist. Weltweit kommunizieren über 1.6 Milliarden Menschen mit iPhones.

Erinnerungen an das iPad werden auch wach. Bei dessen Einführung stellten mir viele Leute die Frage: Brauche ich das? Oder noch viel besser: Braucht mein Mann das? Persönlich mag ich mein iPad Mini nicht missen. Jeden Morgen lese ich darauf E-Edition der NZZ, beschalle via Spotify die Küche und gönne mir gelegentlich ein Game. Ähnlich dürfte es den Frauen ergangen sein, die ihren Gatten ein iPad schenkten, denn: Von vielen Beschenkte wurde mir zugetragen, dass sie ein weiteres iPad gekauft haben, weil ihres von der Gemahlin in Beschlag genommen wurde.

Illustre Partner …

Die beste Hardware ist nichts ohne Software. Beispiele dafür gibt es in der Game-Industrie zuhauf. Microsofts Powerhouse Xbox fasste mehr schlecht als recht Fuss, weil die Games nicht wirklich überzeugten und die breite Unterstützung der Drittanbieter fehlte. Nintendos Wii U, der missratene Nachfolger der Erfolgskonsole Wii, war gar eine Stillgeburt. Darum war es wichtig und richtig, dass Apple gleich bei der Enthüllung der Vision Pro zwei hochkarätige Zusammenarbeiten ankündigte: Die visionäre Hardware wird von der Game-Engine Unity auf einer Software-Ebene und von Disney+ auf einer Content-Ebene unterstützt.

Einen Partner wie Disney+ an Bord zu haben, ist Gold wert, aber der von Game-Industrie-Analyst Joost van Dreunen angeführte Punkt ist nicht zu unterschätzen: iPads und iPhones können in gepolsterte Hüllen gelegt werden, sind vergleichsweise Wasser, Sabber und Dreck abweisend. Das sind Attribute, die zu einem grossen Teil des Disney+-Publikums gehören: Kindern. Wenn Konfitüre auf dem Touchscreen landet, dann ist das zwar nicht im Sinne des Erfinders, aber diese kann problemlos abgewischt werden. Wie sieht es aber mit dem hochkomplexen Wundewerk der Technologie namens Vision Pro aus? Bei der Vorstellung, dass Kinderhände sich daran vergreifen, kringeln sich mir die Zehennägel hoch. Darum:

… und ein paar Hürden

Einen Empfang wie ihn das iPhone oder das iPad erlebt haben, ist bei der Vision Pro kaum zu erwarten. Ich möchte nicht von verbrannter Erde sprechen, aber was bis dato unter der Fahne von AR und VR segelt, vermag mich nur sehr beschränkt zu überzeugen. Sonys VR2 hat zwar einige Bonuspunkte bei mir eingeheimst, aber das Teil überzustülpen, das Wohnzimmer spielsicher zu gestalten, mache ich eigentlich nicht. Die Vision Pro muss also beweisen, dass sie das Sperrige bisheriger VR- und AR-Brillen und -Programme wegzaubern kann. Ob sie dazu in der Lage ist, wird sich im kommenden Jahr zuerst einmal in den USA zeigen. Wann die Brille in der Schweiz erhältlich sein wird, steht zurzeit noch nicht fest. Klar ist aber eins, und das wird eine weitere Hürde auf dem Weg in den Massenmarkt sein: Die Vision Pro wird teuer sein, sehr teuer sogar: In Amerika wird die AR-Brille für $ 3500 auf den Markt kommen. Ein stolzer Preis, der aber durch die wegweisende Technologie grösstenteils gerechtfertigt wird.

Der tragbare Computer und der dafür entwickelte R1-Chip verarbeitet Informationen von 12 (!) Kameras, 5 Sensoren und 6 Mikrophonen, die in die Vision Pro eingebaut sind. Die Displays verfügen pro Auge über eine höhere Auflösung als ein 4K-Bildschirm. Weiter hat Apple gemäss ihrer Präsentation über 5000 Patente in Zusammenhang mit der Entwicklung der Brille angemeldet. Und: Viele Produkte von Apple sind hochpreisig, aber im Vergleich zur Vision Pro wissen wir, was wir von einem iPhone 14 Pro Max oder einem Hochleistungs-Laptop erwarten können. Die Welt des so genannten «spacial computing», des räumlichen Computer-Arbeitsplatzes, wie sie die Vision Pro in Aussicht stellt, müssen wir zuerst kennenlernen.

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