Was die Anspielmöglichkeiten, die Bilder und Making-of-Artworks versprochen haben, löst nun «Far: Lone Sails» ein: ein wunderschönes, geradezu poetisches Abenteuerspiel, das weit herum Begeisterung auslösen wird.
In der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie ist ein Alleinstellungsmerkmal eine gute Voraussetzung für einen kommerziellen Erfolg. Kombiniert man das wirklich einmalige Artwork des Schweizer Computerspiels «Far: Lone Sails» mit einer mysteriösen Erkundungsgeschichte, so erheischt man nicht nur Preise an Game-Messen, sondern auch online neugierige Blicke und wohlwollende Reviews.
Wer die Maschine aus Far einmal gesehen hat, erkennt sie sofort wieder, und alle wissen: Dieses Teil, diese Mischung aus Lokomotive und Segelschiff gibt es nur einmal. Solches Design ist heute Gold wert. Aber der Look alleine hilft nicht. Wenn das Gameplay und Story nicht mithalten können, ist das Spiel tot. Doch in dem Moment als die kleine, rotbefrackte Spielfigur das gigantische Vehikel besteigt und losfährt, herrscht Aufbruchstimmung. Auch wenn die Landschaften grau in grau sind, die vorbeiziehen. Was einst am Boden eines Ozeans war, ist heute ein trockenes Trümmerfeld, übersät mit Leichen von Öltankern und U-Booten. Zombies sucht man in dieser Post-Apokalypse vergebens. Hier zählt wie bei Mad Max nur der Mensch und seine Maschine.
Unglaubliche Dimensionen
Die verbliebenen Zeugen besiedelter Inseln sind verwahrloste Ruinen, die nicht selten den Weg der bizarren Lokomotive versperren. Wohin die Reise führt, weiss man nicht. Doch das ist eigentlich egal, zu schön sind die melancholischen Bilder, die sich mir präsentieren. Immer wieder möchte ich einen Screenshot machen und den Augenblick festhalten. Nicht weil er besonders heroisch, sondern schlicht wunderschön ist. Diese Momente verströmen eine eigenwillige Poesie (ein Wort, das ich – so glaube ich – noch nie in einer Game-Besprechung verwendet habe) und Spannung, besonders dann wenn die Steuerfrau – oder ist es ein Mann? – die Maschine verlässt, um Brennmaterialien oder Objekte zu sammeln, die helfen, die Betriebsleistung zu verbessern.
Die beiden Abgänger des Game-Design-Lehrgangs der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, Don Schmocker und Goran Saric, beherrschen das Spiel mit Dimensionen wie kaum jemand anders. Augenblicklich möchte man sein Spielfigürchen schützen, wenn es die dunkle, aber sichere Hülle seines Gefährts verlässt. Auf einer emotionalen Ebene werden Erinnerungen an «The Last Guardian» wach, nur fehlt halt die tierische Komponente, die einfacher eine empathische Brücke schlagen lässt.
Ein einfühlsamer Soundtrack
Einen massgebenden Teil zur grauen Stimmung trägt die Musik bei. Sie drängt sich nie vor, sondern macht genau das, was sie sollte: Die Weltuntergangsatmosphäre untermalen. Joel Schoch, ebenfalls ein ZHdK-Alumnus, hat mit seinem Klavier betonten Soundtrack tolle Arbeit geleistet. Die Zusammenarbeit zwischen den Game-Designern und dem Komponisten zeigt, wo mit eine Stärke der Zürcher Hochschule liegt: Fünf verschiedene Fachrichtungen befinden sich unter einem Dach, und der Austausch zwischen den Fakultäten ist erwünscht. Diese Interdisziplinarität passt auch gut zum Medium Game, das das Hub-Medium schlechthin ist und die verschiedensten Kunstformen vom Design, der Musik, des Sounddesigns, der Grafik, des Geschichtenerzählens, des Films etc. in sich vereint und das alles erst noch interaktiv.
Mit Far: Lone Sails ist Don Schmocker und Goran Saric ein eigenständiger Wurf gelungen und ein weiteres Beispiel exzellenten Schweizer Game-Designs, das nicht nur auf einer visuellen, sondern auch musikalischen und spielerischen Ebene überzeugt.
Far: Lone Sails, Steam (PC/Mac), Okomotiv