Prädikat: Künstlerisch wertvoll

Apple hat Anfang Woche die Rangliste der meistverkauften Games für das iPhone und den iPad veröffentlicht. Doch spannender sind die «Best of»-Titel, die der Megakonzern für die verschiedenen Plattformen ausgewählt hat.

Selbst die Ankündigung des Events vom 2. Dezember in Lower Manhattan stand unter Embargo, und zum Inhalt war herzlich wenig bekannt. Unter Kollegen wurde wild spekuliert. «Wird es einen neuen Controller für die Apple-TV-Plattform geben?» oder kommt gar ein anderes Stück Hardware? Spannend ist bei solchen Gedankengängen immer, dass Hardware-Veröffentlichungen einen höheren Status geniessen als Software-Ankündigungen, obschon es im Game-Business ja primär um letztere geht. Und: Eine Hardware ist nur so gut wie die Spiele, die auf ihr veröffentlicht werden. Das muss Microsoft mit seiner Xbox One in dieser Generation auf bittere Weise erfahren.

Doch zurück zu Apple. In einem gepflegten Haus in Lower Manhattan wurde am Montagabend die globale Journalistenschar empfangen, um an verschiedenen Stationen die Gewinner-Apps und -Games auf Apples Plattformen noch einmal auszuprobieren und vor allem mit den Entwicklerinnen und den Designern zu sprechen. Früher hat Apple die Liste der meistverkauften Apps und Games einfach zum Jahresende veröffentlicht. Nun – so die Erkenntnis – werden die Studios recht eigentlich gefeiert.

Games können auch Kunst sein

Betrachtet man die Auswahl, so schlägt das Herz des unabhängigen Game-Experten der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia höher. Künstlerisches und Narratives stand bei der Auswahl, die durch die weltweit verteilten Spezialistinnen und Spezialisten von Apple in Sachen Apps & Games erfolgte. Mit diesem Schwerpunkt macht auch der Konzern aus Cupertino klar, dass Videospiele Kunst sein können. Diese Erkenntnis ist bei weitem nicht neu, doch sie bildet ein dringend notwendiges Gegengewicht zu den nach wie vor vorherrschenden Vorurteilen gegenüber Games, die insbesondere in den Köpfen der Nicht-Spielenden herumgeistern.

Die Selektion macht auch deutlich, dass die kommerzielle Komponente – sie war durch die Best-of-Listen abgedeckt – nicht wirklich eine Rolle spielte. Mit dem Game of the Year «Sky: Children of the Light» von Thatgamecompany wurde zwar ein wenig überraschender Titel gewählt, denn bereits die Vorgänger Journey (Apple’s Game of the Year 2013) und Flower erfreuten sich nicht nur grösster Beliebtheit bei den Kritikern, sondern wurden weit herum gern gespielt. «Sky ist ein qualitativ hochwertiges Game, das zeigt, dass positives Spielen auf Handys durchaus möglich ist», sagt Jennie Kong, Drehbuchautorin von Thatgamecompany, die in New York vor Ort war. «Im Zentrum von Sky stehen Haltungen und Emotionen wie Altruismus und Mitgefühl. Wer anderen hilft, sieht mehr von der Welt, die gemeinsam erkundet werden kann.» Es ist wohl diese Komponente, die insbesondere Frauen anspricht. Gemäss Jennie Kong machen Gamerinnen 60 bis 70 Prozent des Publikums aus.

Gefühlsbetont fällt auch das Mac Game of the Year aus. Gris der spanischen Nomada Studios ist ein visuelles Meisterwerk, das sich mit den Themen Trauer und Verlust auseinandersetzt. Die melancholische Geschichte eines jungen Mädchens, das sich in seiner eigenen Welt aus wunderschönen Aquarelle- und Tuschezeichnungen verloren hat, wird von der Musik von Berlinist begleitet. «Die Musik macht 40 Prozent des Spielerlebnisses aus», sagt David Ricart, Brand Director von Nomada Studios. Die Kombination aus den grandiosen Tableaus des Künstlers Conrad Roset, die völlig zu Recht auch als Prints verkauft werden, und der Musik rührt manche Spieler zu Tränen. «Wir bestrafen die Spieler nicht», erklärt Ricart ihre Herangehensweise an das komplexe Thema. «Das Game kommt ohne Worte und ohne Sterben der Hauptfigur aus. Der Spieler soll es in Frieden geniessen können.» Der Erstling des spanischen Studios Nomada gewann im März den GDC Choice Award in der Kategorie «Best Visual Arts» und war für mehrere Bafta-Auszeichnungen nominiert.

Ganz anders begegnet Sayonara Wild Hearts dem Herzschmerz. «Es ist eine hoch getaktete Popmusik-Traumlandschaft», findet Kelsey Hanson von Verleiher Annapurna Interactive, die den Titel des schwedischen Studios Simogo vertreiben. Wer SWH spielt, muss denn auch den Kopf und vor allem die Finger bei der Sache haben, denn wie bei frenetischen Jump’n’Runs üblich, gilt es in Sekundenbruchteilen, die richtigen Tasten zu drücken. Im Getümmel weist denn Kelsey Hanson auf einen interessanten Umstand hin: «Nachdem das Herz der Protagonistin zerspringt, findet sie sich in dieser bizarren Tarot-Karten-Welt wieder, die ohne Männer auskommt.» Der bunte Kampf durch den Herzschmerz ist nicht nur Eye Candy, sondern ein Statement gegen die lange vorherrschende Macho-Kultur in der Game-Industrie, die fortzu aufgeweicht wird.

Einen Hauch von Nostalgie

Nostalgische Gefühle bedienen die beiden letzten Games of the Year: Hyper Light Drifter von Heart Machine und Wonder Boy: The Dragon’s Trap von Lizardcube. Erinnerungen an vergangene Game-Zeiten werden wach, wenn Hyper Light Drifter (HLD) den Bildschirm des iPhones erhellt. Auch wenn die Steuerung über den Touchscreen nicht ganz ohne ist, die Musik und vor allem die weitläufigen Sets beschwören eine unglaubliche Atmosphäre. Das Hack’n’Slash-Game lebt aber nicht vom Nostalgiefaktor allein, sondern vom raffinierten Gameplay, das die Adaption des PC-Klassikers von 2016 auf die mobile Plattform gut überstanden hat.

Auch Wonder Boy ist ein Remake. Das Original erhellte vor 30 Jahren die Bildschirme der Computernerds. An der Vorlage hat das Pariser Studio Lizardcube festgehalten. Als netter Gimmick läuft die etwas aufgefrischte Originalversion parallel zu dem Remake. So können Nostalgiker zwischen den beiden Versionen hin und her springen. Wenn man Omar Cornut, Technical Director von Lizardcube, zuhört, wird man von seiner Begeisterung gleich angesteckt. Er ist zu Recht stolz auf Wonder Boy, denn was das fünfköpfige Team in 18 Monaten fertig gebracht hat, ist wirklich eindrücklich. «Der Traum hat während zwanzig Jahren im Kopf gegart. Unser Ziel war es, das Feeling von damals wieder aufleben zu lassen, das Teils in surrealen Momenten begründet lag.»

Ein starkes Zeichen

Emotionen, künstlerischer Anspruch und ein Hauch von Nostalgie schwingen in der Best-of-Selektion von Apple mit. Die Auswahl zeigt deutlich, dass Games Kunst sein können, und das ist auch die Absicht gewesen. Es gehe bei Computerspielen längst um mehr als nur Baller- und Sportspiele, konnte man am Anlass in New York hören. Das ist – wie gesagt – keine neue Erkenntnis, aber eine die man durchaus wiederholen darf und muss, in der Hoffnung, dass sie die ewig gestrigen Vorurteile zu Gewalt und Sucht, die gebetsmühlenartig wiederholt werden, ausmerzen möge. Seit geschlagenen 20 Jahren hat sich die Meinung, dass Action-Games zu Gewalt in der Gesellschaft führen in den Hirnwindungen der Nicht-Spielenden verkeilt und versperrt den Weg für aufstrebende Game-Entwicklerinnen und -Designer, die mehr und auch das künstlerische Potenzial freilegen wollen. Wenn Apple, die phasenweise fast 80 Prozent ihres Umsatzes im App Store mit Games machten (https://www.forbes.com/sites/chuckjones/2013/11/01/games-drive-the-most-revenue-on-apples-app-store-and-google-play/#21b1b6413ee5) und heute die Services, zu denen die Spiele zählen – einen Rekordumsatz von $ 12.5 Mia. generieren, darf man erwarten, dass ein paar Millionen Gamer und auch Non-Gamer diese Botschaft erhalten, und das ist gut so.

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