Gedanken zum sechsjährigen Bestehen von Supercells «Clash Royale»
Computerspiele sind wie lebende Organismen. Im Vergleich zu Spielfilmen oder literarischen Werken entwickeln sie sich selbst nach ihrer Fertigstellung immer weiter. Das trifft besonders für Titel wie «Clash Royale» zu, die zum Free-2-Play-Segment (F2P) gehören.
Bei den Gratisspielen, bei denen der Fortschritt mit Mikrotransaktionen gekauft werden kann, wird das Entwickler-Team nach der Veröffentlichung aufgestockt, um den Wünschen der Spielenden möglichst schnell gerecht zu werden und «more of the same» heranzuschaufeln, wenn die Gamer-Gemeinde Gefallen an einer bestimmten Herausforderung findet.
Königliches Intro
Vor sechs Jahren brachten Supercell, die finnischen Könige des F2P, das Karten basierte Tower-Defence-Spiel «Clash Royale» auf den Markt. Der Start war etwas verhalten. Auch mich konnte der Titel zu Beginn nicht überzeugen, aber nach ein paar Updates griff die Spielmechanik. Der raffinierte Balance-Akt zwischen Angriff und Verteidigung, der sich in der Auswahl der Karten widerspiegelte, verfehlte seine Anziehungskraft nicht.
Wenige Monate nach dem Release im Januar 2016 übernahm der chinesische Mega-Konzern Tencent über 80 Prozent von Supercell. Zuerst ist der Einfluss dezent. Doch schon bald verschwanden Wohltätigkeitsaktion wie die alljährliche Sammlung für die Gesundheitsstiftung «(Red)». Stattdessen wurden 2019 der «Pass Royale» und chinesische Neujahrsujets eingeführt. Für CHF 5 pro Monat konnte man sich mit dem königlichen Spielpass erhebliche Vorteile im Game sichern und damit auch den Fortschritt. Daneben blieben die bisherigen Mikrotransaktionen selbstredend weiter bestehen. Wer in «Clash of Clans» und nun auch in «Clash Royale» vorwärtskommen wollte, musste richtig Geld in die Hand nehmen. Das Prinzip ist ja auch unter «Pay 2 Win» bekannt.
Frust statt Freude
Dem «Pass Royale» und weiteren Spielinvestitionen ist der «Clash Royale» seither untergeordnet. Das Spielprinzip ist schal geworden. Reihenweise sprangen die Spielenden ab. Immer wieder wird in Online-Foren darüber diskutiert, ob «Clash Royale» tot sei. Darüber lässt sich noch streiten, aber Supercell hält den Spaten in der Hand, denn wer mit Gamern spricht, hört immer die gleiche Antwort: «Der Spass ist vorbei.»
Vor ein paar Updates spielte ich in den «Master II»- und «Master III»-Ligen mit. Seit über einem Jahr dümple ich drei, vier Ligen tiefer. Es ist wie Wassertreten. Kaum geht es ein bisschen vorwärts, wird der kleine Fortschritt von Gegnern, die auf meine Karten und Strategie die probate Antwort haben, zunichtegemacht. Wenn das ein, zwei Mal oder gelegentlich geschieht, dann ist das nicht der Rede wert. Doch wenn sich das Muster Woche für Woche oder gar tagtäglich wiederholt, stinkt der Fisch.
Ich nehme nicht für mich in Anspruch, ein besonders guter «Clash Royale»-Spieler zu sein, aber ein erfahrener. Schliesslich kenne ich den Titel seit Tag 1. Nun gibt es für mich zwei Optionen: eine wohl gemeinte und eine gierige Erklärung.
Missglückter Versuch
Skill Based Match Making (SBMM) hat sich in den letzten Jahren bei vielen Games durchgesetzt, bei denen Online-Spielende aufeinandertreffen. Die Idee hinter SBMM ist eigentlich löblich: Ein Algorithmus soll verhindern, dass hochrangige Spieler auf Anfänger treffen und diese zur Schnecke machen. Solche Begegnungen sind auf die Dauer frustrierend – mehr dazu unten – und sorgen für einen Exodus, was dem Geldzufluss abträglich ist. Dank SBMM steigen optimaler Weise nur «gleich starke» Spielende in die Arena. Soweit die Theorie.
Die Praxis aber zeigt, dass sich – wie so oft – manche Gamer darauf spezialisiert haben, die Logik des Algorithmus auszuhebeln. Sie lassen sich mit gezielt eingefahrenen Niederlagen aus ihren Trophäenhöhen fallen und donnern so einige Runden später mit ihren starken Karten auf aufstrebende Spielerinnen und Spieler. Kurz erklärt: Wer laufend Matches verliert, verliert auch Trophäen, die symbolisch für die Spielstärke sind. Auf diese Weise rutscht man schnell in tiefere Ligen ab und kann dann mit aller Wucht Neulinge platt machen, da die Spielkarten der Top-Spieler viel stärker sind.
Verfechter des F2P-Modells hingegen kennen auch das Modell «Frustration»: Durch gezieltes Frustrieren der Spielenden sollen diese zu Investitionen bewegt werden. Die Logik dahinter: Wenn du stärkere Karten hättest, würdest du nicht immer verlieren. Diese unschöne Taktik stösst insbesondere bei langjährigen Spielenden wie mir an Grenzen, denn die Möglichkeiten, «sinnvoll» Geld ins Spiel zu stecken, sind beschränkt. Schikaniert wird man vom Algorithmus trotzdem.
Spielende zu frustrieren, ist bei einem Titel wie «Clash Royale», bei dem kein direkter Kontakt mit dem Gegner über Voice-Chat möglich ist, keine Hexerei: Fehlt ein Gegner aus Fleisch und Blut, dann steigt ein digitaler Gegner in den Ring, der bestens ausgerüstet ist, die Angriffe zu parieren und mirakulös stets die richtigen Karten zur Hand hat.
Nebst dem, dass dieses Vorgehen unfein ist und über kurz oder lang die Gamer-Gemeinde vergraulen wird, hat es einen zersetzenden Nebeneffekt. Computerspiele sind Lernmaschinen. Nicht der Zufall, nicht das Geld bringen eigentlich den Fortschritt, sondern die spielerische Kompetenz. Nur wenn ich dazulerne, komme ich im Spiel vorwärts. Das zeichnet Games seit Dekaden aus. Wenn nun aber Algorithmen darauf abgerichtet werden, den Fortschritt zu beschneiden, weil sonst zu wenig Geld verdient wird, wird ganz nebenbei ein zentrales Merkmal von Videogames zerstört: Das Kompetenzerlebnis.
Einmal mehr trifft es die Schwächeren
Wie so oft wird es die Schwächeren treffen. Für manche Kinder und Jugendliche – teils auch Erwachsene – sind Selbstwirksamkeitserlebnisse im Alltag selten. Sie holen sich dann welche im virtuellen Raum. Das ist durchaus legitim, solange dies in einem bewussten Rahmen erfolgt und nicht in eine Sucht abgleitet. Bleibt nun aber das erhoffte Erfolgserlebnis aus – nicht, weil man schlecht gespielt hat, sondern schon zum vornherein keine Chance hatte –, dann kann sich das Gefühl von Ohnmacht weiter verstärken. Besonders kritisch wird es – wie das Beispiel von «Clash Royale» zeigt –, wenn grundlegende Spielcharakteristika verändert werden, die sich über Jahre etabliert haben. Um solche Mechanismen zu durchschauen, braucht es eine gewisse Distanz zum Spiel, und diese fehlt vielen.
Darüber hinaus fühlen sich langjährige Mitspielende, die in Clan-Strukturen eingebunden sind, dem Netzwerk bis zu einem gewissen Grad verbunden. Über die Chat-Funktionen tauscht man sich aus. Nicht nur über Game-Dinge, sondern auch allgemeinere Befindlichkeiten. Eine solche Plattform wirft man nicht einfach über Bord, und das wissen Studios wie Supercell. Diverse Studien haben gezeigt, dass eine Chat-Funktion im Game die Bindung zu diesem massgebend verstärkt. Der (von Nicht-Spielern) gut gemeinte Rat: «Dann spiel doch einfach ein anderes Game.» Ist also alles andere, als einfach zu befolgen.
Wie weit Supercell den F2P-Bogen spannen und das SBMM instrumentalisieren können, wird sich weisen. Die negativen Feedbacks, die ich in den letzten Monaten allein in meinem Umfeld gesammelt haben, zeichnen ein düsteres Bild für «Clash Royale».