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View of the Capitol in Washington with a police barrier tape in front, stating: «Police line – Do not cross».

Sie trinken das Blut von Babys

Die Podcast-Mini-Serie «The Coming Storm» von BBC Radio 4 geht den Hintergründen des Sturms auf das Capitol vom
6. Januar 2021 nach und deckt dabei eine Tradition von Konspirationstheorien auf, die rund 30 Jahre zurückreicht.

«Die Republikanische Partei rechtfertigt den Sturm aufs Capitol und bezeichnet die gewalttätigen Ausschreitungen als legitime politische Stellungnahme.» (NZZ)

Bei wem diese Meldung vom 4. Februar 2022 ein Kopfschütteln und nicht ein Schulterzucken auslöst, dem sei der BBC-Radio-4-Podcast «The Coming Storm» empfohlen. Wenn ich es mir richtig überlege, den anderen würde es noch mehr bringen, denn die Wurzeln dieser scheinbar bizarren Haltung reichen Jahrzehnte zurück, wie Reporter Gabriel Gatehouse minutiös rekonstruiert.

In der ersten Episode der siebenteiligen Podcast-Mini-Serie «The Coming Storm» schildert Gabriel Gatehouse sein Erlebnis, als er die Bilder vom Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 am Fernseher verfolgte. Er erkannte einen Mann wieder, den er ein paar Monate zuvor während seiner Berichterstattung zu den Wahlen an einer Trump-Wahlveranstaltung getroffen hatte: den QAnon Shaman, bürgerlicher Name Jake Angeli. Damals fand der britische Reporter den Kerl mit den Hörnern auf dem Kopf, dem muskulösen nackten Oberkörper und der aufs Gesicht gemalten US-Flagge schlicht zu durchgeknallt, um mit ihm über Politik zu sprechen. Heute sitzt Angeli für über 40 Monate im Gefängnis für seine Beteiligung an der ausgearteten Protestaktion in Washington.

Rückkehr in die USA

Über die vergangenen Jahre und während der Trump-Administration waren immer wieder eigenartige Meldungen zu lesen wie die Geschichte von Edgar Welch, der bewaffnet mit einem Sturmgewehr im Juni 2017 in eine Pizzeria stürmte, um – wie er meinte – die Kinder, die im Keller gequält würden, zu befreien. Wie durch ein Wunder wurde damals niemand verletzt. Welch war auf ein LARP-Video (Live Action Role Playing) hereingefallen, das die Konspirationstheorie von Demokraten, die kleine Kinder missbrauchen und deren Blut trinken, aufgriff und die Pizzeria als vermeintliches Hauptquartier des Pädophilen-Rings ausmachten.

Doch während viele andere Aufarbeitungen der jüngeren Geschichte Amerikas Schlagzeilen trächtige Geschichten wiederaufwärmen, geht Gabriel Gatehouse weiter und gräbt tiefer. Seine Nachforschungen bringen ihn in die 90er-Jahre als Bill Clinton, der spätere US-Präsident und Mann von Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, für den Gouverneursposten kandidierte. Schon damals gab es Sex-Affären, die aber nicht weiterverfolgt wurden. Gatehouse ordnet die Rolle der Gamer- und Manga-Fan-Website 4Chan und das noch toxischere Forum 8Chan ein.

Er zieht auch die Macher der QAnon-Konspirationstheorien unter ihrem Stein hervor und die opportunistischen Machenschaften der Trump-Administration, die aus dem Sammelsurium von uraltem Irrglauben, Anti-Semitismus und Hexenjagd Kapital schlugen.

Der siebenteilige Podcast wurde im Januar 2022 von BBC Radio 4 ausgestrahlt und kommt zum unschönen Schluss, dass der Sturm auf das Capitol vor einem Jahr nicht der Kulminationspunkt der anti-demokratischen Tendenzen in den USA gewesen ist. Es war vielmehr ein Vorgeschmack auf den kommenden Sturm. Die Rechtfertigung des Angriffs vom 6. Januar 201 durch die republikanische Partei Anfang Februar gibt ihm Recht.

The Coming Storm, BBC Radio 4

Victor Giacobbo und Mike Müller im «Giacobbodcast»

Review Giacobbodcast

Lacher auf Abruf

Der Schweizer Komiker Victor Giacobbo lädt in seinem «Giacobbodcast» Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und seinem persönlichem Umfeld zu lockeren Gesprächen ein, was den einen oder anderen Lacher verspricht.

Derzeit gibt es wenig zu lachen. Depressionen legen besonders bei Jugendlichen in einem beängstigenden Mass zu. Mehr und mehr Leute sind der restriktiven Massnahmen überdrüssig. Sie sehnen sich nach Geselligkeit, nach unbefangenem Austausch, dort einer Umarmung, hier einem herzlichen Drücker oder etwas Lustigem.

Wie schon Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann festgestellt hat: Lachen ist gesund. Zur Erinnerung:

Da gute Witzerzähler schon immer eine gesuchte Rarität waren und in den letzten Jahren immer seltener wurden, muss man die Suche nach Lachern seit geraumer Zeit online verlegen. Auch hier ist die Qualität im Schnitt sehr dürftig. Selbst ernannte Spassvögel kupfern schamlos bei Monty Python und Co. ab, ohne dabei nur annäherend einen Funken Originalität oder Talent zu versprühen. Anders beim Profi Victor Giacobbo, und darum weise ich auf den «Giacobbodcast» hin, dessen Episoden besser als der forcierte Titel des Podcasts sind.

Giacobbo/Müller im Giacobbodcast

Nach bewährtem Podcast-Muster lädt Victor Giacobbo, der nach hiesigen Massstäben als Satiriker durchgehen kann (mehr zu diesem Thema später), mehr oder weniger prominente Gäste zum Palavern ein. Meist sind es Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Giacobbos persönlichem Umfeld. Dazu gehören zum Beispiel Politikerin und Unternehmerin Jacqueline Badran, der nicht immer so lustige Psychoanalytiker Peter Schneider oder die UNO-Sonderbeauftragte Christine Schraner Burgener. Die etwa eine Stunde dauernden Gespräche machen Laune und sorgen eben gelegentlich für die gesuchten Lacher.

Wer sich dem «Giacobbodcast» nähern will, dem empfehle ich zum Einstieg die Folge mit seinem einstigen Weggefährten Mike Müller an. Ein absurdes Highlight, bei dem die beiden immer wieder bemüht sind, ihren grandiosen Schwachsinn einigermassen «straight faced» rüberzubringen. Das ist nicht einfach. Schon die Idee, dass Mike Müller nicht nur so gross wie er heute ist, auf die Welt gekommen ist, sondern aus einem Ei geschlüpft und als Kannibale im südamerikanischen Dschungel aufgewachsen ist, verlangt einiges an Selbstbeherrschung. Hier geht’s direkt hin.

Giacobbodcast, radio24.ch/shows/giacobbodcast