28’000 Profis aus der Games-Industrie strömten im März an die Game Developers Conference GDC nach San Francisco. Darunter auch 26 Schweizer Game-Studios auf Einladung von Pro Helvetia, die sich mehr als wacker schlugen. Eine Review der GDC 2018.
Konferenzen wie die Game Developers Conference in San Francisco sind immer eines: überwältigend. Dieser Umstand sagt leider nichts über die Qualität des Gezeigten aus, sondern mehr über die schiere und unüberschaubare Quantität. Darum mag ich eigentlich solche Veranstaltungen wie Game-Messen und -Festivals nicht. Der einzelne Titel droht, in der Masse unterzugehen, nicht entdeckt zu werden, und zum Schluss fliessen die Eindrücke ineinander.
Dennoch sind solche Veranstaltungen wertvoll, weil sie einen Überblick erlauben und den Status quo einer Industrie sowie deren künftige Ausrichtungen zeigen. Darüber hinaus erlauben sie auf vergleichsweise engem Raum den Austausch mit Entwicklerinnen und Designern. 28’000 aus aller Welt strömten an die GDC 2018 nach San Francisco – ein neuer Rekord.
Pitchen will gelernt sein
Erste Station war am Sonntag der Pitching-Event, der von Swissnex und Pro Helvetia organisiert wurde. Nun kann man sich fragen, ob so eine Veranstaltung kurz vor Stunde Null überhaupt Sinn macht. Die Antwort ist ein sonores JA! Im Vergleich zur angelsächsischen Kultur kennen wir im Vorschulalter kein «show & tell», ein nieder schwelliges Format, das Kinder von Klein auf schult, ungehemmt vor eine Gruppe Leute zu stehen und einen persönlichen Standpunkt zu vertreten: Das ist mein Teddybär, und der ist cooler drauf als alle anderen Plüschtiere auf der Welt. Auch Debattier-Clubs, wie sie an den US-Colleges üblich sind, und ähnliche Plattformen sucht man bei uns vergebens.
So krümmeln sich die Schweizer Designerinnen und Designer auf die Bühne und stellen ihr Licht unter den Scheffel, statt die Gunst der Stunde und des Scheinwerfers zu nutzen. Dabei hätten sie allen Grund selbstsicher aufzutreten. Alle haben während Monaten, wenn nicht gar Jahren an ihren Titeln gearbeitet. Diese haben schon die Hürde einer Vorauswahl durch eine Pro-Helvetia-Jury überwunden. Klar ist es nicht allen gegeben, die Werbetrommel zu rühren, doch um das geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, die Leidenschaft zu zeigen, die hinter den Games steckt, die unter nicht immer einfachen Bedingungen erstellt worden sind. Leidenschaft und gut schweizerische Bescheidenheit schliessen sich nicht gegenseitig aus. Und: Warum soll sich jemand für ein Computerspiel interessieren, wenn nicht einmal die Schöpferin oder der Macher davon überzeugt scheint?
Grosse Vielfalt an der GDC 2018
Der diesjährige Jahrgang von Swiss Games besticht nebst der Qualität, die international wiederum ganz vorne mithält, durch ein breites Spektrum. Da wäre Nimbatus, das Dronen-Konstruktionsspiel von Stray Fawn Studio, das jeden Nerd in spastische Verzückung versetzt und auch prompt mit Best in Play an der GDC Play ausgezeichnet wurde. Eine Honorable Mention erhielt das liebevoll mit Bleistiftzeichnungen animierte alpine Horrorszenario Mundaun des Luzerner Einzelkämpfers Michel Ziegler. Johnny Badhair, ebenfalls eine Herzensangelegenheit dieses Mal von Chris Solarski, kann bereits auf drei Jahre Entwicklungszeit und eine Kollaboration mit dem international hochgeschätzten US-Künstler Phil Hale zurückblicken. Die Demokratisierung des Game Designs strebt Flurin Jenal mit Struckd an, einem virtuellen Bausatz für Videospiele, mit dem sich monatlich rund 200’000 Menschen – vornehmlich aus Brasilien – vergnügen. Ob als Spiel zu taxieren oder nicht, darüber scheiden sich die Geister bei Kids von Michael Frei und Mario von Rickenbach. Der Nachfolger des Kulterfolgs Plug & Play folgt nicht den Spielkonventionen hat aber dennoch seinen Unterhaltungswert und verpasst den einen oder anderen Denkanstoss. In der besten Arcade-Tradition wirft sich Retimed von Annika Rüegsegger und Max Striebel ins Rennen und macht mit seiner Version der Matrix Bullet-Time sehr viel Spass. Retimed ist auch der erste Titel, der ab April in Swiss Made Games League E-Sport-mässig gespielt werden wird. Da geht bestimmt die Post ab. Mehr dazu unter dem Kürzel smgl.ch.
Betrachtet man die Vielfalt der 26 in San Francisco anwesenden Schweizer Studios und den internationalen Erfolg im Vergleich zum cineastischen und literarischen Schaffen in unserem Land, so ist es umso erfreulicher, dass sich der Bundesrat in seinem kürzlich veröffentlichten Bericht explizit für die Förderung von Games in der Schweiz ausgesprochen hat. Bravo!
Eine Sprache entziffern
Am Montagvormittag stand das erste Interview auf dem Programm. Das britische Studio Inkle, das vor vier Jahren mit 80 Days Jules Vernes Abenteuergeschichte «In 80 Tagen um die Welt» ins Steampunk-Zeitalter holte, ist daran Heaven’s Vault abzuschliessen. Jon Ingold und Joseph Humfrey, beide mit Erfahrung bei Sony Computer Entertainment, haben dieses Mal eine geheimnisvolle Sprache geschaffen, die es zu entziffern gilt. Für Jon spielt die Geschichte darauf an, dass wir bei der Erforschung alter Kulturen oft von Annahmen ausgehen, die von der Persönlichkeit des Wissenschaftlers geprägt sind und sich im Nachhinein als falsch herausstellen können. «Es kann sehr gut sein, dass die von dir getroffene Zuordnung eines Symbols falsch ist», sagt er, als ich eine Wort-Wahl treffe. «Das erfährst du aber nicht, sondern die Geschichte nimmt einfach einen anderen Verlauf auf Grund deiner Entscheidung.» Wie es sich für einen Inkle-Titel gehört, kommt der Humor nicht zu kurz, und das Entziffern ist clever gemacht. Etwas seltsam mutet einzig die Farbgebung an. So ist die Nase der Protagonistin auffällig rot. Ein Hinweis darauf zeitigt eine leis irritierte Reaktion der beiden, die sich aber im weiteren Verlauf des Gesprächs wieder legt.
Nächste Station am Montag ist die malerische, wenn auch etwas kitschige Fotosafari Eastshade von Danny Weinbaum (vormals Suckerpunch) und seiner Partnerin Charlene Lebrun. Als Maler strandet man nach einem Schiffbruch im Namen gebenden Land und erhält von der lokalen Bevölkerung allerlei Aufträge. Diese werden in der Regel mit dem Erstellen eines Gemäldes, das aber eher einer Fotografie des jeweiligen Objekts entspricht, erfüllt. Von der Stimmung her ist Eastshade deutlich von Myst und Riven inspiriert und dürfte den einen oder anderen Fan dieser Klassiker anlocken.
Gamenation Polen
Von der Ästhetik und dem Gameplay her geht der polnische Titel 60 Parsecs! in eine komplett andere Richtung. Er ist der Nachfolger des Kultspiels 60 Seconds und verlangt von mir, dass ich die spärlichen Rationen, die für meine Raumschiff-Crew zur Verfügung stehen, möglichst schlau verteile. Dabei gilt es verschiedene Parameter zu beachten wie zum Beispiel die mentale Fitness. Um diese steht es nicht zum Besten. Zur Erheiterung der vier Mitglieder steht aber nur eine sock puppet zur Verfügung. Wer soll noch alle Tassen im Schrank haben in der nächsten Runde? Ich entscheide mich für die Kapitänin, aber als das Raumschiff durch einen Meteoritenhagel getroffen wird, ist eh alles verloren.
Es gibt rund 300 Studios in Polen, darunter auch das bekannte CD Project, das hinter der Hit-Serie The Witcher steht. Doch ähnlich wie in der Schweiz mit dem Landwirtschaftssimulator und Giants Software hat die Mannschaft von CD Project keine Verbundenheit zur Indie-Entwicklerlandschaft, sagen die Entwickler, die zur Polish Party geladen haben. Dabei schwingt keine Missgunst oder so mit, sondern es ist einfach so.
Die Schweiz im europäischen Vergleich
Die European Game Showcase, die wiederum in den Räumlichkeiten von Swissnex zu Gast ist, ermöglicht einen spannenden und direkten Vergleich der unabhängigen Entwickler Europas. Hier zeigt sich deutlich, dass die Schweizer Designerinnen und Game-Macher die Konkurrenz keineswegs zu scheuen brauchen. In Sachen Innovation und Handwerk mischen die Helveten vorne mit. Das wird an diesem Abend deutlich.
Diese Qualität bleibt nicht ungesehen, aber von Auszeichnungen alleine lebt es sich schlecht, doch vermehrt gesellt sich zur künstlerischen Anerkennung auch der kommerzielle Erfolg. So wurden vom Stray Fawns Genetik-Spiel Niche über 80’000 Games verkauft und eine solide Community aufgebaut. Die Game-Bau-Plattform Struckd kann 200’000 monatliche Nutzer verzeichnen, die mehrheitlich in Brasilien beheimatet sind. Gemäss Struck’d-Chef Flurin Jenal bauen 1.5 Prozent der Struck’d-Nutzer eigene Games. Das mag tief erscheinen, ist aber höher als bei anderen sozialen Medien, wo lediglich ein Prozent aktiv Inhalte beisteuert.
Eine spannende Zusammenarbeit wurde an der GDC 2018 bekannt: Das Westschweizer Studio Spooklight wird die geheimnisvolle Firma Magic Leap in Sachen Mixed-Reality unterstützen. Die Amerikaner wollen damit die Zukunft der Unterhaltung wesentlich prägen. Aus diesem Grund hat Magic Leap vor zwei Jahren Spooklight kontaktiert und zu Stillschweigen verpflichtet.
Grosses Interesse an Ctrl Movie
Mein persönlicher Höhepunkt am Swiss Games Breakfast war, dass ich Tobias Weber von Ctrl Movie wieder gesehen habe. Damit hatte ich nicht gerechnet und umso grösser war die Überraschung. Es war schön zu sehen, wie das Interesse an der interaktiven Filmtechnologie nach wie vor ungebrochen ist. Immer wieder offenbarten sich Fans von Late Shift. Interessant war auch die Begegnung mit einer türkischen Dame, die für sich in Anspruch nahm, eine vergleichbare Technologie zu vertreten, die aber schon 2015 marktreif gewesen sein soll. Das grosse Handycap: Die Entwickler sind in Istanbul, und damit ist die internationale Zusammenarbeit wohl eher schwierig.
Turn-based Games liegen im Trend
In Malmö, Schweden, beheimatet ist das Bearded Ladies Studio, das hinter dem turn-based Strategiespiel Mutant Year Zero: Road to Eden steht. Das Studio ist hervor gegangen aus ehemaligen Mitgliedern des Hitman-Entwicklerteams. Dass die Jungs ihre Sache verstehen, zeigte bereits der hervorragende Trailer. Das Game Play ist stark inspiriert von den Xcom-Games, nur wurde es auf Wunsch des Chefs noch einiges schwieriger gemacht. So bringt es First Lady David Skarin fertig, misslich zu verlieren, weil ein entscheidender initialer Spielzug missraten ist. Ab diesem Moment steht das Schicksal nicht auf seiner Seite und sein Mutanten-Team wird im wahrsten Sinne des Wortes abgefackelt. Ob ich die Geduld haben werde, so taktisch und vorsichtig vorzugehen wie MYZ – Road to Eden es erfordert, wird sich weisen. Klar ist schon jetzt, dass es zu den schwersten Spielen von 2018 zählen wird.
Ebenfalls einem turn-based Modell folgt das eher vernachlässigbare Warhammer 40’000 – Mechanicus, ein weitere Warhammer-Spiel aus einer Flut von Veröffentlichungen. Gemäss dem französischen Entwickler hat Lizenzinhaber Games Workshop die Politik der Lizenzvergabe geändert. So werden dieses Jahr gleich mehrere Warhammer-Titel auf den Markt kommen. Wie es um das Qualitätsmanagement steht, ist nicht ersichtlich.
Schlusspunkt für mich an der GDC 2018 war der Besuch bei Atari, die ein Mock-up ihrer Atari-Box nach San Francisco mitgebracht hatten. Michael Arzt, ein Industrieveteran, der auf diverse Stationen bei Firmen wie Samsung zurückblicken kann, führte eloquent durch das Gespräch. Dabei hielt er sich klar an die Vorgaben von Marketing und PR. Dennoch machte Arzt klar, dass die Linux-Basis der Atari-Box, die eigentlich einem Laptop ohne Tastatur und Bildschirm entspricht, sich besser für Streaming-Dienste eignet als eine Android-Architektur wie sie zur Nvidia Shield gehört. Atari hat das Augenmerk auf Niederschwelligkeit im Umgang gelegt, dazu gehört auch, dass die Schachtel mit der Stimme gesteuert bzw. aktiviert werden kann. All dies konnte ich aber in der Hotelsuite nicht sehen oder gar ausprobieren, schliesslich handelte es sich nur um ein Ansichtsmodell und keine funktionierende Hardware. Für Michael Arzt ist wichtig, dass die Atari-Box nicht eine weitere Nostalgie-Box ist im Stil der Nintendo Mini-Replika. «Klar werden wir unsere Klassiker im Angebot haben, aber auch neue Titel, die auf Linux laufen», hält er fest.
Blockchain und Games
Die GDC 2018 in San Francisco hat einmal mehr gezeigt, wie fortgeschritten Game-Entwicklung ist und als Hub-Medium verschiedenster Technologien dient. So war auffällig, wie viele Anbieter im Bereich Blockchain und Kryptowährungen in den Hallen zugegen waren. Im Gespräch mit den meisten aber hatte ich den Eindruck, dass sie etwa so viel von den Themen verstehen wie ich – nämlich nicht viel. Dieses Gefühl teilt übrigens auch Koh Kim, vormals Leiterin der Games-Division von Google, die sich in Blockchain und ähnliche Technologien vertieft hat. Für sie werden erste konkrete Anwendungen noch zwei, drei Jahre auf sich warten lassen. Hauptgrund dafür ist nebst der Komplexität die Volalität der Kryptowährungen. So lange diese keine gewisse Stabilität erlangen, werden sie für Normalbürger höchstens als Spekulationsobjekt von Interesse sein. Dennoch hat sich das Schweizer Studio Everdreamsoft mit Bit Crystals aufgestellt und bietet ein Blockchain-Ökosystem für Gamer, Sammler und Kreateure. Aber auch hier gilt noch abzuwarten, bis sich der Hype-Staub gesetzt hat.