Zur Gamescom 2017 in Köln strömten mehr Menschen als je zuvor und beweisen, welche Bedeutung Gaming in ihrem Leben hat. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm sich Zeit, die grösste Videospielemesse der Welt zu eröffnen.
Ausverkauft! Anfang Woche vermeldeten die Veranstalter der Gamescom 2017, der grössten Videospiele-Messe der Welt, dass keine Tickets mehr für Privatpersonen erhältlich sind. Von Jahr zu Jahr hangelt sich die Messe in Köln von einem Publikumsrekord zum nächsten. Dieses Jahr waren es über 350’000 Besucherinnen und Besucher! Dieser gigantische Menschenstrom quillt von Dienstag bis Samstag durch die Hallen und Gänge des Geländes. Sie alle sind auf der Suche nach den Computerspielen, die in den kommenden Monaten auf den Markt kommen werden.
Ein Blick auf die geduldig Wartenden zeigt im Vergleich zu den Fachmessen wie der Electronic Entertainment Expo E3 in Los Angeles ein heterogenes Bild. Zwar dominiert die männliche Fangemeinde das Geschehen, aber wie ein Besucher, der erstmals den Weg an die Gamescom fand, erstaunt feststellte: «Es hat sehr viele Frauen hier.» Dabei handelt es sich nicht nur um Mütter, die mit leicht angespannter Miene, ihre wuselnden Söhne unter Kontrolle zu halten versuchen. Es gibt auch viele Damen zwischen 16 und 35 Jahren, die wie ihre Kollegen mit so genannten Loot Bags, riesige Plündertaschen, in denen T-Shirts und andere Messesouvenirs verstaut werden, zwischen den Ständen durch ziehen. Auffallend ist auch die Zahl an Besuchern, die – teils schwerst behindert – an Rollstühle gefesselt sind. Ihnen bieten Videospiele nicht nur Zeitvertreib, sondern eine Möglichkeit der Integration, denn in der Anonymität des Online-Spiels zählt nur das Können und nicht das Aussehen.
Der Look ist hingegen alles für die Cosplayer, die sich in die Kostüme ihrer Game-Helden und insbesondere Heldinnen werfen. Zwar wurde den Kostümierten eine eigene Halle reserviert, aber immer wieder sind auch Orks, Elfen und Space Marines auf Rolltreppen und Toiletten anzutreffen. Die Kostüme sind in der Regel mit viel Liebe zum Detail selbst gemacht und spiegeln das Engagement der Gamer-Gemeinde wider. Wie die Fans der Fantasy-Romane von Tolkien und Rowling bringen sie Teil der fantastischen Welten so in den grauen Alltag.
Community mischt bei der Entwicklung mit
Dieses Engagement verstehen die Game-Produzenten verstärkt zu nutzen. In den Präsentationen verschiedener Titel wurde immer wieder betont, wie sehr auf die Wünsche und Vorschläge der Spielergemeinde Rücksicht genommen wurde und wird. Dabei wird zwischen objektiven und subjektiven Inputs unterschieden und bei letzteren mit etwas mehr Zurückhaltung agiert. Die objektiven Feedbacks sind die gemessenen, aus den Spiele-Partien vorliegenden Daten. Sie zeigen auf, wo Spieler verweilen, wo sie sich in einem Szenario schwertun und wo ihre Präferenzen liegen. Die subjektiven Rückmeldungen werden aus Diskussionsforen gezogen, die teils von Seiten der Hersteller selber moderiert werden oder aber auch auf «neutralen» Servern stattfinden. Dabei gilt es, nicht der Versuchung zu verfallen, den am lautesten schreienden zu folgen, sondern einen roten Faden im Botschaftsgewirr zu finden.
Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht die Zurückhaltung der Game-Industrie, neue Titel und Marken zu lancieren. So sind es denn auch in erster Linie bekannte Namen, die an den Ständen um Aufmerksamkeit buhlen und ihre Fans bereit sind, rund zwei Stunden in der Schlange zu stehen, um ein paar Minuten spielen zu können. Zu den Publikumsmagneten zählen die vier Blockbuster von Electronic Arts «Battlefield 1 – Incursion», «Need for Speed: Payback», «Star Wars Battlefront II» und natürlich «Fifa 18». Mit dem Kapitel «Incursions» wird Battlefield 1 um einen zusammen mit der Spielergemeinde entwickelten 5-gegen-5-Wettkampf erweitert. Im neuen Star-Wars-Titel wurde dem Wunsch nach mehr Luftschlachten gefolgt.
Publisher Activision fokussierte auf zwei Aushängeschilder: «Destiny 2» und «Call of Duty: World War II». Während das Fantasy-Epos von Bungie, die Spieler mit einer komplett neuen Ausgangslage konfrontieren wird, denn den Helden von einst wurden ihre Kräfte gestohlen, kehrt die Marke «Call of Duty» zu den Wurzeln zurück und bereitet die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zum Spektakel auf. Ob ihnen ein so respektvoller Umgang gelingt wie es Battlefield 1 mit dem Ersten Weltkrieg vorgemacht hat, wird sich weisen.
Solcherlei Klippen umschifft Ubisoft wohl mit «Assassin’s Creed – Origins» und siedelt das jüngste Kapitel der Serie im alten Ägypten an. Hier begegnet man Cleopatra und Julius Cäsar, während man sich in gewohnter Weise durch den pittoresken Norden Afrikas meuchelt. Experimentell nimmt sich dagegen «Transference» aus, eine Zusammenarbeit mit Spectrevision, der Produktionsgesellschaft von Filmschauspieler Elija Wood. Hier tritt man die Erinnerungswelt eines vom Krieg traumatisierten Soldaten ein. Die teils psychedelisch wirkenden Sequenzen, in denen sich Hinweise zum Lösen von verschiedenen Puzzles verbergen, entfalten ihren Effekt am eindrücklichsten im Virtual-Reality-Setting. Nach wie vor aber stellt die VR-Übelkeit eine Herausforderung für solche Erlebnisse dar.
Einen vertieften Eindruck konnte man auch von «Wolfenstein II: The New Colossus» erhalten. Bei dem ausgedehnten Hands-on betonten die anwesenden Entwickler wiederholt, dass das Schwierigkeitslevel noch nicht abgestimmt ist. Dieser Umstand führte auch zu mehrfachen Sterben in einem U-Boot. Hier rollt man an einen Rollstuhl gefesselt durch die Gänge und schiesst monströse Nazi über den Haufen. Man kann sie auch in Fallen tappen lassen, die sie gleich in ihre Bestandteil auflöst. Als BJ Blazkowicz, auch bekannt als Terror-Billy, kämpft man Seite an Seite mit unterschiedlichsten Figuren: einem jüdischen Forscher, einer Afro-Amerikanerin, einem Indianer, einem Hünen mit halbem Kopf und einer schwangeren Frau. «The New Colossus» präsentiert eine kurzweilige Pop-Culture-Melange, die auch die Tiefen des schlechten Geschmacks nicht scheut.
Zu den viel versprechendsten Titeln gehört das neuste Œuvre von Quantic Dream «Detroit», die Geschichte von Androiden, die gegen die Unterdrückung durch die Menschheit kämpfen. Hier hat der Protagonist stets die Option zwischen einer aggressiven und einer pazifistischen Entscheidung zu wählen. Doch jede hat Konsequenzen auf den weiteren Spielverlauf. Verblüffend war hier die Qualität der Gesichtsanimationen, die ein nahezu fotorealistisches Level erreicht haben und das in Echtzeit.
Schweizer Indies und die Bundeskanzlerin
Nebst dem audiovisuellen Feuerwerk der Grossen drohen die unabhängigen Entwickler jeweils etwas unterzugehen, obschon sie als Innovationstreiber einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Branche leisten. Wer aber neue Spielmechaniken und auch teils politische Themen in Games sucht, der wird in den Indie-Hallen fündig. Wiederum mit von der Partie war eine ansehnliche Delegation Schweizer Game-Designer unter der Ägide der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.. Die lokalen Spielentwickler präsentierten ein schillerndes Spektrum von Spielideen. Vom retro-gestylten «Slime-san» bis zum visuell geschliffenen Sammelkarten-Spiel «Spells of Genesis», das als erstes Game überhaupt Blockchain basiert ist, bewies die Schweizer Delegation einmal mehr, dass sie ganz vorne mitspielen können.
Die Gamescom zeigt auf eindrückliche Weise den Status quo der gegenwärtigen Spielewelt. Wenn sich Politprominenz – Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffenete die Gamescom und spielte den Schweizer Bestseller «Landwirtschaftssimulator» an – einfindet und Hundertausende in diesen Tagen nach Köln reisen, um einen Blick auf die Spiele, die da kommen, zu werfen und Stunden warten, um einige Minuten selber Hand anlegen zu können, dann macht dies die grosse Bedeutung der Computerspiele in unserer Gesellschaft deutlich. Games bieten nicht nur brillante Unterhaltung, sie sind zu einem substanziellen Träger der Kreativwirtschaft geworden – sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz, nur ist uns der grosse Kanton in Sachen Akzeptanz und Förderung einen deutlichen Schritt voraus.