Frauenfiguren in Games wandeln sich von Sexobjekten zu dynamischen Akteurinnen und werden zunehmend realistischer. Game-Designer Chris Solarski erklärt, warum die Entwicklung in Richtung Fotorealismus oft ins «uncanny valley» führt. Und: Quantic Dreams CEO Guillaume de Fondaumière über «Detroit: Become Human» im Interview.
Kennen Sie Cortana? Vielleicht haben Sie schon mit ihr gesprochen. Sie ist Microsofts Antwort auf Apples Cyber-Assistentin Siri, die sprachgesteuert auf dem Handy Termine in die Agenda setzt oder sich auf dem Internet auf die Suche nach einer passenden Antwort macht. Doch im Vergleich zu ihrem populären Pendant hat Cortana ein paar massgebende Vorteile: Sie ist auch die Kampf erprobte Assistentin des Masterchiefs, einem Space-Marine und Helden der Game-Bestseller-Serie «Halo». Aber vor allem hat sie einen Körper und was für einen.
An Schaltkreise erinnernde Streifen bedecken knapp die neuralgischen Punkte dieser blauhäutigen Beauty, deren stahlblaue Augen wissend dem Betrachter entgegen blitzen. Doch im Vergleich zu den digitalen Damen aus Kampfspielen wie Tekken, Dead or Alive oder Soul Calibour ist ihr wohlproportionierter Körper geradezu dezent. Wenn sich die Kämpferin Eve ins Zeugs legt oder ihre Kollegin Katsumi, dann ist der Fokus klar auf ihre weiblichen Attribute gerichtet, geprägt von Fantasievorstellungen der – japanischen – Männerwelt. Für sein berühmt-berüchtigtes Fighting-Game «Dead or Alive» programmierte Designer Tomonobu Itagaki eigens einen Algorithmus für die Sprungkraft der üppigen Oberweiten der Sportlerinnen: Je höher man das Alter der Damen schraubt, desto lascher federt der Busen.
In der «Dead or Alive»-Serie werden (japanische) Männerphantasien üppig umgesetzt.
Games – eine Männerdomäne
Während Jahrzehnten galt die Gamer-Welt als absolute Männerdomäne. Jungs programmierten für Jungs, was Jungs gefiel. «Im Vergleich zum Spiel- und Animationsfilm, wo das Publikum sehr heterogen ist, war es bei den Games eine eingeschworene Männergemeinschaft», sagt denn auch Chris Solarski, Game-Designer und Autor des Buches «Interactive Stories and Video Game Art». «Doch das junge Medium reift. Mehr Mädchen und Frauen spielen Games, und sie finden auch Eingang in die Programmierergemeinde.»
Diese Entwicklung bringt es mit sich, dass sich auch die Frauenfiguren von – wenn auch schlagfertigen – Sexobjekten hin zu – immer noch attraktiven – aber weit alltäglicheren Erscheinungen mausern. Exemplarisch dafür ist die Evolution von Lara Croft, der Heldin aus der Game-Serie «Tomb Raider». Ursprünglich war die britische Schatzjägerin ein Indiana-Jones-Clone, samt Schlapphut und Peitsche. Doch aus Angst vor rechtlichen Komplikationen musste Designer Tobi Gard die Figur umgestalten. Heraus kam dabei die erfolgreichste Verlegenheitslösung der Game-Geschichte: Lara Croft. Auf die offensichtlichen Attribute angesprochen meinte Gard defensiv, dass die bescheidenen grafischen Fähigkeiten von damals nach einer deutlichen Sprache verlangten. 20 Jahre später präsentiert sich Lady Croft als dynamische Amazone mit sportlichem Körper.
So erfreulich die Entwicklung ist, Hand in Hand mit ihr geht eine besondere Herausforderung. Je näher die Darstellung einer menschlichen Figur der Realität kommt, desto gespenstischer wirkt sie. «Ist eine Figur sehr abstrakt, springt unser Vorstellungsvermögen ein. Mit unserer Fantasie ergänzen wir das Unfertige», sagt Chris Solarski. «Nähert man sich dem Fotorealismus, wird das Publikum eher abgestossen.» Dieser Informationsüberfluss lässt keinen Raum für Interpretation übrig. Man wendet sich gelangweilt und oft auch irritiert ab.
Je besser, desto kritischer
Doch nicht nur dies. Je mehr die Cybermodells sich ihren realen Vorbildern nähern, desto kritischer ist der Blick auf sie. «Computerspiele haben im Vergleich zur Computeranimation im Kino den Vorteil, dass die Interaktion von der Grafik ablenkt», erklärt Solarski. «Wer aber einem Gamer zuschaut, ist weit kritischer dem Gezeigten gegenüber, weil er sich auf die Darstellung konzentrieren kann.» Dabei darf man nicht vergessen, dass unsere Wahrnehmung seit Jahrtausenden darauf ausgerichtet ist, kleinste Veränderungen in der Mimik wahrzunehmen, kann doch die korrekte Interpretation in Extremfällen über Leben und Tod entscheiden.
Als erstes fallen unnatürliche Bewegungsmuster auf. Besonders augenfällig ist, wenn die gesteuerte Figur in einem Spiel plötzlich die Richtung ändern muss. Gab es bei «Pac-Man» (1980) nur rauf, runter, links und rechts, können die heutigen Figuren in einem Spektrum von 360 Grad bewegt werden. «Das Gesicht der Protagonistin, die man steuert, ist vom Spielenden weg gewandt. Man blickt ihnen über die Schulter oder sieht sie seitlich. Es bleibt also primär die Bewegung als Referenz», sagt Solarski. «Wenn diese nicht überzeugt, fällt man aus der spielerischen Illusion.»
Eine Hilfe bei der Animation von Bewegungsabläufen bietet das Grundmaterial aus Motion-Capturing-Sitzungen mit richtigen Schauspielern und Stuntleuten. Doch der Teufel steckt im Detail. Zwar sind Mo-Cap-Animationen oft sehr überzeugend und «lebensecht», aber Feinheiten bleiben dennoch auf der Strecke. Die Ressourcen bei der Echtzeit-Animation, wie sie in Games erforderlich sind, sind nach wie vor beschränkt, was zu Kompromissen führt, die oft augenfällig sind.
Als nächstes erachtet Game-Designer Solarski die Ebene der künstlichen Intelligenz als Stolperstein einer überzeugenden Darstellung. Wenn sogenannte Non-Player-Characters (NPC), Figuren, die programmiert und nicht von anderen Gamern gesteuert sind, einfach vor die Flinte laufen oder sinnlos vor Wänden herumhampeln, so ist dies fern jeglicher Realität. Auch wenig überzeugend wirken Sequenzen, in denen Figuren im Boden versinken oder zu seltsamen Kneueln mutieren wie in «Assassin’s Creed Unity».
Als dritte kritische Ebene sieht Solarski die grafische. Hier reicht das Spektrum von abstrakten Würfeln, die gewissermassen Platzhalter für Menschen sind, bis zu Avataren mit anatomisch korrekt federnden Brüsten und makellosem Teint. Doch gerade letzterer erweist sich als besonders tückisch.
Neben der leicht glasigen Qualität von Augen, dem Fluss einzelner Haarstränen zählt die Darstellung menschlicher Haut zu den grössten Herausforderungen der Computeranimation. Schuld daran ist, dass unsere Haut fast durchsichtig ist – aber eben nur fast. Das Licht dringt in die Haut ein und wird gestreut reflektiert. Um diesen Effekt des «sub-surface scatterings» wiederzugeben, braucht es enorme Rechenleistungen und ein grosses Animations-Team. Doch selbst wenn dies gegeben ist, tun sich die Game-Entwickler schwer damit. Haut in Games, aber auch Computeranimationsfilmen wie Pixars «Up!» oder «Polar Express», wirkt wächsern und gummig und reisst den Betrachter aus der Illusion heraus.
Diese unangenehmen Effekte werden unter dem Begriff «uncanny valley» zusammengefasst, das unheimliche Tal, in das man sich als Animator nicht verlaufen will. Noch verlieren sich hier viele Entwickler, und da helfen auch keine akkurat federnden Brüste.
«Figuren in Games bewegen sich nicht wie Menschen»
Quantic Dream CEO Guillaume de Fondaumière über das Uncanny Valley, die neue Engine von «Detroit: Become Human» und moralische Entscheidungen.
Das Spiel «Detroit: Become Human» ist eine Weiterentwicklung einer eindrücklichen Tech-Demo von Quantic Dream. 2010 experimentierte das französische Studio mit Animationsformen, die auf Emotionen fokussierte und präsentierte 2012 die Tech-Demo «Kara» im Rahmen der GDC in San Francisco. Die Reaktionen auf die eindrückliche Sequenz fiel überraschend aus und so stellte sich für Quantic-Dream-Mastermind David Cage und CEO Guillaume de Fondaumière die Frage: Was würde geschehen, wenn Kara den Hagar verlässt. Das war der Ausgangspunkt der Geschichte von «Detroit: Become Human», einem Androiden-Thriller der im Januar 2018 exklusiv auf Playstation 4 erscheinen wird.
Kurz zusammengefasst, um was geht es in «Detroit: Become Human»?
GdF: «Detroit: Become Human» (GBH) ist ein Thriller, der in einer nahen Zukunft spielt. Die Technologie hat grosse Fortschritte gemacht, und Androide sind überall tätig. Sie kümmern sich um die alltäglichen Dingen wie den Transport von Gütern, die Abfallentsorgung, die Strassenarbeiten, die Kinder – einfach alles.
Was zeichnet die Androide aus?
GdF: Sie sind menschenartige Objekte und werden als solche behandelt. Es gibt klare Regeln, wo sie sich aufhalten und wie sie sich verhalten sollen. Doch jetzt entwickeln sie Gefühle und werden abtrünnig. Für die Menschen stellt sich die Frage: Kann man Androiden noch trauen? Die aufmüpfigen Androide werden von Markus angeführt, über dessen Hintergrund man nichts genaueres weiss. Er sieht sich als eine Art Cyber-Messiahs und Befreier der Sklaven, wenn er zu seinesgleichen spricht und sie auffordert, mit erhobenem Haupt vorwärts zu schreiten.
In den Teilen, die bereits angespielt werden konnten, müssen immer wieder moralische Entscheidungen getroffen werden wie in «Infamous: Second Son» oder früheren Quantic-Dream-Titeln. Wie wirken sich diese auf den Spielverlauf aus?
GdF: Jede Entscheidung beeinflusst den Verlauf der Geschichte. Während sich Marcus auf den Standpunkt stellt: «Fear feeds hatred.», findet seine Weggefährtin: «I will take hatred over indifference.» Wie in «Heavy Rain», wo sich zum Beispiel die Frage stellte, soll man den Drogenhändler töten oder nicht, wird es in DBH viele Weichen geben. Je nach Option, für die sich der Spieler entscheidet, fallen die Folgen unterschiedlich aus. Die Moral der Geschichte wird sich im Preis für die Gewalt widerspiegeln.
Die Grafiken in DBH sind beeindruckend. Die Animationen der Gesichter teils verblüffend, aber dennoch bewegen sich die Figuren «unnatürlich». Wo liegt das Problem?
GdF: Der Spieler hat die Kontrolle über die Figur. Er kann jederzeit die momentane Bewegung unterbrechen und schlagartig die Richtung ändern. Eine vergleichbare Situation gibt es in der Wirklichkeit nicht. Man kann mit Motion Capturing Bewegungen wie Rennen, Laufen aufzeichnen, doch die im Game geforderten plötzlichen Richtungswechsel gibt es nicht im richtigen Leben. In der Wirklichkeit besteht eine gewisse Trägheit. Wenn wir rennen, können wir nicht einen Haken von 90 Grad schlagen, sondern ziehen einen weiteren Bogen. So etwas würde in Games schlecht ankommen. Wir arbeiten aber stets daran, die Animationen zu optimieren und immer alles vorwärts zu bringen. Aber wie bei einem Kind entwickelt sich nicht alles gleich schnell.
Wie lange arbeitet ihr schon DBH?
GdF: Der Titel ist seit vier Jahren in Entwicklung, David (Cage) schreibt seit über zwei Jahren am Drehbuch. Der Release ist auf Januar 2018 vorgesehen. Die Geschichte geht auf unsere Tech-Demo «Kara» aus dem Jahr 2010 zurück. Wir waren überrascht, wie viele Reaktionen wir erhielten und stellten uns die Frage: Was würde wohl geschehen, wenn Kara den Hangar verlassen würde? Kara hat viele Dinge inspiriert wie z.B. «Ex Machina»- Wir gehen Themen wie «Wo beginnt der Mensch, wo endet die Maschine?» oder «Was geschieht, wenn eine künstliche Intelligenz Emotionen entdeckt?» in noch nie da gewesener Tiefe auf den Grund.
Am Anfang stand Kara – Tech-Demo von Quantic Dream, 2010
Karas Rückkehr in «Detroit: Become Human», 2015
Für «Detroit: Become Human» hat Quantic Dream wiederum eine neue Engine entwickelt. Vielen Leuten ist der Aufwand, der hinter einem AAA-Titel steckt nicht bewusst. Es ist als würde man für jede Major-Filmproduktion eine neue Kamera bauen. Was bringt die neue Engine?
GdF: Es steckt in der DNA von Quantic Dream, die Grenzen auszuloten. Dazu gehört auch die Entwicklung einer neuen Engine, die mehr Realismus ermöglicht als in «Beyond – Two Souls». Dank ihr können wir Massenszenen steuern, die «Detroit: Become Human» eine grosse Rolle spielen. Aber auch die Animationen für nicht-menschliche Dinge wie Tiere oder Fahrzeuge wurden erheblich verbessert.