Hereditary – Psychogramm einer Trauerfamilie

Ari Asters Regiedebut Hereditary ist kein billiger Horrorschocker, sondern ein Kammerstück über Tod, Verlust und ausser Kontrolle geratenen Okkultimus.

Horrorfilme sind meist wie Zuckerwatte: Sie geben etwas fürs Auge her, sind schnell genossen, aber letztlich billig und leer. Doch in den letzten Monaten wählt eine jüngere Generation von Regisseuren das krude Genre für differenziertere Formen des Grusels, der auch ein weibliches Publikum findet. Hierbei stehen weniger billige Jump Scares und explizite Dekonstruktionen des Körpers im Vordergrund, sondern ein Horror auf einer psychologischen Ebene, der ein leises Pochen im Kopf und die Frage hinterlässt: Was ist hier abgegangen? Was habe ich da gerade gesehen? Jüngstes Beispiel ist Hereditary, das Regiedebüt von Ari Aster.

Einen Horrorfilm als Einstieg in Filmgeschäft zu wählen, macht Sinn: Sie kosten wenig und spielen in der Regel ihre Produktionskosten flux wieder ein. Viele der heutigen Star-Regisseure waren Gruseldebütanten: James Camerons (Titanic) ging mit dem Unterwasserschocker Piranha 2: The Spawning (1981) fischen, Lord of the Rings-Verfilmer Peter Jackson liess in Bad Taste (1987) Aliens Hirne auslöffeln und massakrierte in Dead Alive (1992) gleich reihenweise Zombies. Ari Asters abendfüllender Erstling Hereditary kostete lediglich10 Mio. $. Diese hat er bereits am Startwochende mit fast 14 Mio. $ eingespielt, und ein Ende des Geldreigens ist nicht absehbar, denn sein Œuvre wurde mit einem 100% fresh rating auf rottentomatoes.com bedacht, und Hauptdarstellerin Toni Collettes wird als Oscar-Kandidatin gehandelt.

Entnervte Mutter, stoischer Vater

Die Australierin, die bereits für The Sixth Sense (1999) und Little Miss Sunshine (2006) oscarnominiert war, trägt dieses Kammerspiel. In dessen Zentrum steht eine Familie, die nach dem Tod von Annies dominanter Mutter von einem verstörenden Strudel aus Trauer, grauslichen Unfällen und übernatürlichen Phänomenen in die Tiefe gerissen wird. Annie (Toni Collette) ist eine freischaffende Künstlerin, die obsessiv rekonstruierte Alltagssituationen im Puppenhausformat nachbaut und auch Teil ihrer Traumen so zu verarbeiten versucht.

Ihr Mann Steve, gespielt von einem famos zurückhaltenden Gabriel Byrne, versucht mit stoischer Ruhe etwas Normalität in den aus den Fugen geratenen Haushalt zu bringen. So möchte sich Annie am liebsten umbringen, nachdem ihre eigenartige Tochter Charlie (Milly Shapiro) kurz nach der Beerdigung bei einem schrecklichen Unfall ums Leben kommt. Sohn Peter (Alex Wolff) macht sich – wie seine Mutter – Vorwürfe, dass er für den Tod seiner Schwester verantwortlich sei und verfällt in einen quasi katatonischen Zustand.

Mutter weiss es nicht immer am besten: Hereditary.

Hereditary – eine aussergewöhnliche Familie.

Es sind diese Schuldgefühle, die das Familiengewebe zerfressen, denn darüber gesprochen wird nicht. Annie fühlt sich nicht einmal in der Lage, Steve zu sagen, dass sie gelegentlich in eine Selbsthilfegruppe geht, um mit dem Tod ihrer Mutter besser klarzukommen. Steves zaghafte Versuche, seine Beziehung zu seiner Frau wieder aufzubauen, scheitern an ihrer Trauerarbeit und vielen Vorwürfen.

Diese intensiven Momente leben von der mimischen Vielschichtigkeit Collettes. Manchmal glotzen ihre Augen ins Leere, dann neigt sie leise ihren Kopf zur Seite und augenblicklich verheisst dies Ungutes. Toni Collette hat in ihrer Karriere schon viele entnervte Mütter gespielt, aber Annie dürfte die komplexeste und mit Abstand die grauslichste sein.

In ihrer Verzweiflung versucht Annie, mit der verstorbenen Tochter Charlie in Kontakt zu treten. Dabei öffnet sie eine Türe zu ihrer Familiengeschichte, die besser geschlossen geblieben wäre.

Famlientragödie gerinnt zum Alptraum

Der 31-jährige Ari Aster, der auch das Drehbuch geschrieben hat, sagt über Hereditary: «Es ist eine Familientragödie, die zu einem Albtraum gerinnt.» Von der Anlage her erinnert Asters Debut phasenweise stark an den australischen Horrorfilm The Babadook (2014): In beiden Filmen geht es um eine Familie, die sich mit dem Tod eines Mitglieds schwer tut. In Hereditary sind es Annies Mutter und die Tochter Charlie, die Lücken hinterlassen; in Babadook kommt der Vater auf dem Weg zur Geburt seines Sohnes ums Leben. In beiden Filmen steht eine entnervte Mutter im Fokus, die sich unbedarft auf eine okkulte Schlacht einlässt.

Doch während Babadook zum Schluss versöhnlichere Töne anschlägt, kennt Ari Asters Hereditary keine Gnade. Wie David Cronenberg in The Fly – eine Lovestory, in der einer der Partner das Opfer einer tödlichen Krankheit wird – dienen auch Aster die Horrorelemente nicht zum Evozieren des gängigen Angst-Lust-Achterbahngefühls. Cronenberg, wie auch der frühe David Lynch, untergraben mit Gruselmomenten die Sicherheit des Alltäglichen. Das Übernatürliche wird zum Symbol einer Welt, die für die Trauernden nicht mehr zu kontrollieren ist.

Es ist diese Verunsicherung, die auch mich immer wieder an Hereditary denken lässt: Was war real, was Einbildung? Wer hält die Fäden in der Hand? Wer ist hier das Opfer? Regisseur Ari Aster hat einen toxischen Mix aus Szenen des alltäglichen Wahnsinns, einer Kaskade von Unglücken und einem Schuss Okkultismus geschaffen. Hereditary ist kein einfacher Horrorfilm, sondern ein dicht gewobenes Psychogramm einer Trauerfamilie, das einen dort erwischt, wo die Hoffnungslosigkeit wohnt – im Limbo zwischen Körper und Seele.

 

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