Spielen und sterben in L.A. – REEEVIEW 2014

Das Jahr nach der Einführung neuer Videospielsysteme ist das wichtigste. Es gilt die Basis aufzubauen und Kunden an die jeweilige Plattform zu binden. An der diesjährigen Electronic Entertainment Expo E3 zeigte sich eine selbst- und qualitätsbewusste Branche, die mit soliden Titeln die kommenden Monate – und auch Jahre – bestücken wird.

Die Strassen in Los Angeles sind von Palmen und Plakaten gesäumt. Auf diesen – nicht dem Grünzeug – steht: «Live. Die. Repeat.» und ein ziemlich durchgenudelter Tom Cruise blickt in die Ferne. Der Plot von «Edge of Tomorrow» klingt wie ein Shooter. Ich wage zu behaupten, dass eine solche Geschichte wohl ohne den wachsenden Erfolg und Einfluss der Videospielindustrie kaum möglich gewesen wäre.

An der diesjährigen Electronic Entertainment Expo E3 präsentierte sich eine selbstbewusste Branche, die immer wieder darauf hin wies «das schnellst wachsende Unterhaltungsmedium aller Zeiten zu sein». Das in den vergangenen Jahren übliche Macho-Gehabe, mit dem das Territorium an den Pressekonferenzen markiert wurde, war kaum zu hören. Zwar konnte sich Andrew House am Sony Event einen kleinen Seitenhieb Richtung Microsoft nicht verkneifen, da Microsoft unlängst entschieden hat, eine Xbox One ohne Kinect-Kamera-System auf den Markt zu bringen. Dies stellte eine weitere Konzession an den Markt und Korrektur der ursprünglichen Vision von Xbox One als wegweisendes Unterhaltungssystem dar. War die Kinect 2013 noch unabdingbarer Teil der Xbox-Strategie, so kommt ihr künftig eine «exklusivere» Rolle zu: «Um das erstklassige Xbox-Erlebnis zu haben, braucht es nach wie vor die Kinect», erklärt Jim McMullin, Xbox-Chef der Region EMEA. Zu diesem gehören Sprachbefehle, Gestikkontrolle und das direkte Einwählen in ein Benutzerkonto auf Grund der biometrischen Gesichtsdaten. In Zeiten des Generalverdachts und NSA haben solche Bequemlichkeiten aber deutlich an Reiz verloren, und der kürzlich geschaltene Spot mit Aaron Paul, der Xbox Ones unerwünschterweise anschaltete, tat das seine.

Interessant ist in Zusammenhang mit Datenschutz, dass Microsoft zurzeit im Clinch mit dem US-Justizsystem ist, weil der Software-Riese aus Redmond Kundendaten auf Server im Ausland lagert und sich auf den Standpunkt stellt, dass die Zugriffsberechtigung der US-Behörden damit erlischt – to be continued.

Doch zurück zu Games und dem Umstand, dass nicht nur bei der Xbox-Präsentation  Bewegungsspiele mit Abwesenheit glänzten, auch Sony verzichtete auf die obligaten Move-Titel. Einzig Ubisoft stellte mit «Just Dance 2015» ein weiteres Kapitel des beliebten Klassikers vor. Diesmal wird aber nicht nur vor der Webcam herumgehüpft, sondern irgendwo mit dem Smartphone in der Hand.  Das Spiel «Just Dance Now» wird auf alle internetfähigen Bildschirmen übertragen, während die kostenlose App das Handy des Spielers in einen Bewegungs-Controller verwandelt. Mit Hilfe der Ubisoft-eigenen Technologie namens Ubi Bluestar kann eine unbegrenzte Anzahl von Personen in Echtzeit zusammen spielen, auch wenn diese unterschiedliche Datenverbindungen einsetzen – 3G, 4G oder WiFi.

Im Rahmen der Präsentationen und Shows liessen sich noch weitere Trends ausmachen. So besteht nach wie vor ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken und Festhalten an erfolgreichen Marken und bekannten Franchises wie «Call of Duty: Advanced Warfare» von Activision oder «The Witcher 3: Wild Hunt» von den ethusiastischen Entwicklern von CD Projekt Red. Die Pflege von grossen, aber auch die Reanimation von eingeschlafenen Marken kennt man bereits aus Hollywood und Comic-Welt. Während bei letzterer keine Kritik am Umstand geübt wird, dass Woche für Woche, Monat für Monat neue Kapitel aus einer Serie auf den Markt gebracht werden, die eine vermeintlich kontinuierliche Geschichte eines ewig gleich alten Superhelden erzählen, muss sich die Game-Branche Jahr für Jahr die gleiche Leier anhören, obschon beispielsweise «Far Cry 3» und «Far Cry 4», das wiederum sehr viel versprechend aussieht, von der Story her nicht wirklich etwas gemein haben. Bei Games geht es oft mehr um den Charakter eines Spiels, der durch die Titel-Zuordnung erfolgt, und weniger um die eigentlichen Figuren, die darin vorkommen, ausser wir haben es mit Helden vom Schlag eines Batman in «Batman: Arkham Knight», Nathan Drake oder Master Chief zu tun.

Microsoft präsentierte die «Halo Master Chief Collection». Sie soll zur Überbrückung der langen Wartezeit bis zum Erscheinen von «Halo 5: Guardians» im kommenden Jahr dienen. Die ersten beiden Kapitel sind remastered und verfügen über weit detailliertere Oberflächen, die wesentlich zur Atmosphäre im Spiel beitragen. Welch grandiosen Effekt man damit erreichen kann, machte Ubisoft jüngstes Kapitel in der «Assassin’s Creed»-Reihe deutlich. Das zur Zeit der Französischen Revolution angesiedelte Szenario vermittelt augenblicklich das Gefühl von Dreck und Mief. Die Strassen sind morastig und die Pfützen spiegeln die Umgebung zeitecht. Das mögen Kleinigkeiten sein, doch gerade mit diesen punktet die nächste Generation. Es ist heute ein Superrealismus möglich, der sehr nahe dem Film kommt. Auch die Problematik der «toten Augen», eine der grössten Herausforderungen der Computeranimation, wird vielerorts recht gekonnt angegangen bis hin zu sich weitenden Pupillen. Neu an «Assassin’s Creed: Unity» ist auch die Möglichkeit, zu viert machthungrige Templer zu meucheln.

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Generell zeichnete sich ein verstärkter Trend in Richtung kooperative Spielmodi ab. Dem Element der Zugehörigkeit, des gemeinsamen Erlebens kommt laufend mehr Bedeutung zu. So kann man in «Evolve» Teil eines Quartetts sein, das Jagd auf ein Monster macht. Spannend ist aber auch die Option, die Rolle des Ungeheuers einzunehmen und die anderen Spieler zu verhackstücken. Das selbe Spielmodell verfolgt «Fable: Legends», ein exklusives Rollenspiel für die Xbox One. «Die heutige Technologie ermöglicht erst solche kooperative Spielmodi», sagt auch Uwe Bassendowski, Chef von Sony Playstation Deutschland und weist auf den erfolgreichen Start der neuen Konsolengeneration hin. Allein in Deutschland hat der Konsolenmarkt im Vergleich zum Vorjahr 34 Prozent zugelegt. «Casual Gaming Plattformen wie Handys und Tablets haben zu einer Verbreiterung der Basis geführt. Viele Leute haben nun zu Konsolen gewechselt, weil sie erst so das richtige Spielen erleben können und sich nicht um Hardware-Updates, die bei PCs laufend nötig sind, kümmern müssen», ist Industrieveteran Bassendowski überzeugt.

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Auch für Jim McMullin, EMEA-Chef von Xbox, sind die neuen Formen von Multiplayer-Spielmöglichkeiten ein Schwerpunkt der aktuellen Hardware-Generation und das Zusammenrücken von Gaming mit anderen Medien: «Teil der ‘Halo Master Chief Collection’ wird die von Ridley Scott produzierte TV-Serie ‘Halo: Nightfall’ sein, in deren Rahmen eine Figur vorgestellt werden wird, die eine zentrale Rolle in ‚Halo 5’ spielt.» Die Sammlung erscheint im November.

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Noch in einem weiteren Kontext feiert der britische Regisseur ein Comeback. Mit «Alien: Isolation» von Sega erscheint nun endlich das Spiel, auf das alle Fans von «Alien» (1979) immer gewartet haben. Ein Blick genügt, und jeder weiss, was ihm blüht – der sichere Tod. Die von H.R. Giger geschaffene Silhouette ist so einmalig wie furchterregend. Daran ändern auch die gut 35 Jahre nichts, seit das Alien die Mannschaft des Raumfrachters Nostromo massakrierte, um dann von einer spärlich bekleideten Sigourney Weaver ins Weltall gepustet wurde. Wenn das Monster einen erspäht, hat man keine Chance zu entrinnen und der geifernde Kiefer öffnet sich vor den Augen. An diesen unappetitlichen Anblick muss man sich schnell gewöhnen, denn die ersten Versuche dem Alien zu entkommen, waren von sehr kurzer Dauer und dank einem randomisierten K.I.-System weiss man nie, aus welcher Richtung die Kampfmaschine als nächstes kommt.

Zu den Portfolios gehören aber auch stillere Spiele wie das verträumte «Ori and the Blind Forrest» oder «Entwined» (siehe unten), die von unabhängigen Entwicklern stammen. Gemeinhin wird erwartet, dass die Innovation bei Videospielen nicht von Seiten der etablierten Firmen kommen wird, sondern von kleinen Studios, die bereit sind, ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. Schliesslich können AAA-Titel schnell einmal über 100 Millionen Dollar kosten, während auf der Indie-Ebene mit deutlich kleineren Budgets gearbeitet wird. «Die Grenzen zwischen grossen AAA-Titeln und Indie-Spielen verwischen sich aber mehr und mehr», ist dennoch Jim McMullin überzeugt. Ein Beispiel dafür, dass sich Grossverlage auch zu experimentelleren Titeln hinreissen lassen, ist «Valiant Heart» (siehe unten). Dieses kleine, vom französischen Verlag Ubisoft entwickelte Spiel soll an die Gefallenen des 1. Weltkriegs erinnern und basiert auf Impressionen aus Briefen von damaligen Kriegsgefangenen.

Die Unterschiede zwischen unabhängigen und Gross-Produktionen werden nicht bereits morgen verschwinden. Mit ein Grund dafür sind die wachsenden Ansprüche an die Spiele und deren Möglichkeiten. Doch Grossteil der an der Messe gezeigten Titel hält selbst hohen Erwartungen stand und wird die Konsolenverkäufe weiter in die Höhe treiben. Einzig auf eine richtige Überraschung wie das unlängst veröffentlichte Actionspiel «Watch Dogs» wartete man heuer vergebens. Schade, möchte man sagen, aber die seit längerem angekündigte Konzentration auf weniger Titel von Seiten der Game-Verlage hat dafür gesorgt, dass die Käufer qualitativ hochwertigere Spiele erhalten werden als dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Ob sich die Game-Branche mit der Ankündigung von Titeln, die erst 2015 erscheinen und deshalb an der nächsten E3 erneut gezeigt werden, einen Gefallen tut, wird sich weisen. In der News-verwöhnten Medienwelt kommt eine solche Politik nicht gut an, die auf Primeurs und Erstmeldungen ausgerichtet ist und wo solche nicht geboten werden, könnte sich die Berichterstattung schon schnell auf Special-Interest-Kanäle beschränken.

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